Allmacht und Fall des Menschen

Der Fall des Menschen: Gen 3, 1-24

Sündenfall
Sündenfall im Paradies, Niedersächsischer Meister

1 Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?
2 Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen;
3 nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.
4 Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben.
5 Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.
6 Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.
7 Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.

Gesamter Text

Nach heutigem Verständnis des Textes, der ca. 950 v. entstanden ist, steht die Schlange keinesfalls für den Satan und ist weniger Sinnbild für Versuchung und Verführung, sondern einfach für Schlauheit und Erkenntnis im Sinne von “Allwissenheit”. Der Autor der Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies dürfte sich gegen eine Philosophie gewandt haben, welche vorgab, alle tiefen Geheimnisse des Lebens und der Welt erkennen zu können – ohne Gott.

Für dieses Verständnis spricht, dass die Erzählung vom Turmbau zu Babel dieses Thema fortsetzt und vom gleichen Autor stammt.

Der Turmbau zu Babel: Gen 11, 1-9

Der Turmbau zu Babel, Peter Bruegel d. Ä.

1 Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte.
2 Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an.
3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.
5 Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten.
6 Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen.
7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.
8 Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.
9 Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.

Kolosseum

Der Turmbau von Babel ist ein bekanntes Thema der Kunstgeschichte. Peter Bruegel d. Ä. (1525/30 – 1569) interpretiert dieses biblische Thema (Genesis 11, 1-9) mit seinem Bild “Turmbau von Babel” (1563) auf seine Art. Er zeigt, daß die Menschen so sehr in ihre Arbeit vertieft sind, sosehr von ihrer Arbeit überzeugt sind, daß sie am Wesentlichen vorbeigehen. Es geht um die menschliche Hybris. So sehen die Menschen auch nicht, daß ihr halbfertiger Turm schon wieder am Zusammenbrechen ist. Die heutige Situation der Menschheit ist eine ähnliche: Sie ist so geschäftig, daß sie nicht sieht oder nicht zur Kenntnis nimmt, daß die Erde Zeichen des Untergangs trägt.

Biblisch ist, daß der Turm aus gebrannten Ziegeln gebaut wird und bis in den Himmel ragt. Die Stadt und die Menschen sind mittelalterlich. Deutung ist: Der Turm befindet sich neben einer Stadt; er droht zusammenzufallen und die Stadt unter sich zu begraben. Der Turm ist bereits schief und außerdem auf Sand gebaut (am Meer). Die Menschen in ihrer Blindheit und Überheblichkeit sehen das nicht. Sie arbeiten eifrig weiter.“

Bruegel malte das Bild zur Zeit der beginnenden Religionskriege in den Niederlanden. Er sah, daß die Menschen am Wesentlichen vorbeigehen.“

Bruegels Turm von Babel gleicht architektonisch dem römischen Kolosseum (80 n. Chr. fertiggestellt). Der Turm scheint das nach außen gekehrte Kolosseum zu sein. Dieses galt im Mittelalter aufgrund seiner Größe (188 m lang, 156 m breit u. 57 m hoch) als Zeichen der Überheblichkeit.“

Turmbau heute
Turmbau heute (Ertl), Nachstellung der Collage „Babylon heute“ (1970er-Jahre?)

In einer modernen Collage erfährt die Turmgeschichte wieder eine neue (aktuelle) Deutung. Bruegels Turm wird der Kühlturm eines Atomkraftwerkes aufgesetzt. Im Glauben, die Atomspaltung zu beherrschen, kommt die Überheblichkeit des Menschen zum Ausdruck, die ihn blind gegenüber den tödlichen Gefahren macht.

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